Sonntag, 21. Dezember 2008

Heute habe ich es wieder gesehen. Diesmal war es eine Wohnung riesig wie ein Schloß, die Decken so hoch, wie in einer Kirche. Sie war halbfertig. Halbrenoviert, halbeingerichtet und halbdunkel. Einzelne Möbelstücke standen hier und da, alles wunderschöne megateure Designerteile. Irgendwelche Figürchen auf Seulen, wie in einem Museum, Kunstwerke. Sie hatten keine Namen, nur Aufkleber mit Nummern. In einem Zimmer stand eine prachtvolle schneeweiße Badewanne. Natürlich war sie nicht angeschlossen, sie gehörte ja ins Bad; im Bad war es dunkel, dort tummelten sich gleich mehrere Bidets in verschiedenen Farben und Ausführungen. Es gab keine Türen, ein Raum ging in den nächsten über, und ich ging immer weiter, weil ich wissen wollte, was sich hinter der nächsten Ecke befindet. Ich hatte auch Angst, dass ich mich verlaufe und den weg zurück nicht mehr finde, ich habe nach einer Tür gesucht und gehofft, dass es im nächsten folgenden Raum einen Ausgang gibt. Die Wohnung war menschenleer, und trotzdem hatte ich ständig das Gefühl, jemand wäre hier. Ich habe mich nicht beobachtet gefühlt, ich dachte nur, ES wäre einfach nur irgendwo in einem der Räume und wir könnten uns begegnen... Und dann war ich plötzlich in einem Gemüsefeld. Die Sonne schien, in der Ferne waren Berge zu sehen, irgend so ein Feldarbeiter ging in den dreckbeschmierten Stiefeln vorbei... Der Boden war warm und feucht, hier und da stand Wasser in den Pfützen – das Feld wurde vor kurzen bewässert. Die lockere weiche Erde dampfte... Ich war wieder in meinem Element, worüber ich mich zwar nicht besonders freuen konnte, denn dorthin zurück wollte ich gar nicht. Andererseits war ich erleichtert darüber, aus der schrecklichen Wohnung rausgekommen zu sein und nun stattdessen in einem sonnigen Feld zu stehen...



 Es war eine  Wohnung mit unendlich vielen Zimmern, sie waren eng und vollgestopft mit schweren muffigen Möbeln, alle Vorhänge waren zu, die Sonne schien durch kleine Schlitze und beleuchtete die Räume nur minimal. Es gab wieder keine Türen, ein Zimmer folgte dem anderen und ich ging immer weiter und suchte nach einem Ausgang. Aber damals war es noch unheimlicher, da spürte ich in jedem Zimmer irgendwelche Geister, sie wohnten in den Tapeten, an jeder Wand, und sie machten Geräusche, nicht akustisch – es war sehr still – aber in meinem Kopf... Bis ich irgendwann draußen auf der Straße stand, um mich herum war NICHTS außer Asphalt und Sonne, ich stand vor einem Hochhaus und wusste, dass sich ganz oben im letzten Stock diese Wohnung befindet.



Sie findet sich peinlich, ich finde sie absolut cool. Ich wünschte, ich wäre wie sie. Sie sagt: „Wo lernst du zu leben? Woher hast du das? Ich hab dir das bestimmt nicht beigebracht.“ Vom Begräbnis hat sie angefangen zu erzählen, als wir noch unterwegs waren. Ich wollte auch alle Einzelheiten wissen. Vor allem, wie sie gestorben ist. Zum Glück nicht allein, und zum Glück hat sie gar nicht kapiert, dass sie stirbt. Zur Beisetzung sind ALLE gekommen, alle, von den man das nur denken könnte... Dass der Sohn aus Kanada hierher fliegt, war ja klar, aber es sind auch Menschen gekommen, die gar nicht zur Familie gehören, die sie einfach nur so kannten, aus allen möglichen Ecken... Und deshalb war es kein wirkliches Abschiednehmen, sondern ein Zusammentreffen alter Bekannten und Verwandten, über SIE wurde kaum geredet, eher über alte Zeiten und darüber, wer da in der Ecke neben K. und R. steht, in so einer komischen Jacke und gar nicht in Schwarz, kennt die einer?.. Am Schluß sagten sie zueinander: „Wann kriegen wir wieder einen Anlaß uns so zu versammeln? Hoffentlich nicht wieder auf einem Begräbnis, lieber zu einer Hochzeit!“ Es kam nur eine einzige „deutsche“ Omi mit ihrem Wägelchen, war wohl eine Nachbarin, sie saß ganz nah am Sarg, während der Pfarrer seine Rede hielt, betete, legte eine weiße Lilie in IHRE Hand und ging.



Dann kamen sie in die Wohnung. Es sollte entschieden werden, was mit IHREN ganzen Sachen passiert. W. und seine Mutter waren immer noch dabei, sie hofften etwas abzukriegen, noch ein letztes Mal. K. Sagte: „Jetzt ist Schluß! Es wurde dir genug geholfen, jetzt wirst du lernen, allein zurechtzukommen.“ Sie können einander nicht leiden, jedoch kann K. es offen zeigen und W. lässt alles über sich ergehen. Dafür beschloß er sofort den Fernseher mitzunehmen („Stelle ich in der Küche“) und schraubte in nur ein paar Minuten den Schrank auseinander („Hol ich morgen mit dem anderen Auto ab. Für meine Tochter, sie zieht mit ihrem Freund zusammen.“) K. war gereizter denn je.. „JETZT hat er keine Rücken- und keine Knieschmerzen, Arschloch.“ - sagte er zu der Schwester in der Küche, - „Ich will, dass du die beiden loswirst. M. ist hier, wir wollen uns zusammensetzen. Ich fahr noch zum Rathaus, und wenn ich zurück bin, sind sie weg.“ Er sagte: „Ich will nichts haben, nur die Fotos und Dokumente. E. guckt die Schubladen durch, alles andere könnt ihr mitnehmen. Morgen bestelle ich jemanden zum Entrümpeln.“ Die alte Hexe wäre fast geplatzt: „WIE?- Entrümpeln?! Das ist doch alles noch gut und zu gebrauchen!!“ Sie fragte dann auch: „Und was hatte sie da im Schrank an Klamotten?..“ E. schrie fast schon: „Nicht die Sachen anfassen! Ich werde alles ihrer besten Freundin nach Russland schicken! Das wollte sie so!“ Die Alte ließ aber nicht locker: „Da waren ganz viele gute Sachen, die sie gar nicht getragen hat. Lass uns erstmal sehen, und alles andere dann...“ - „Nein!! Lasst ihre Sachen in Ruhe! Keiner fasst etwas an!“ Die Aasgeier ließen sich nicht abschütteln, bis E. endlich mit den Schubladen fertig war. Mein Schätzchen räumte alles aus auf den Tisch und E. suchte nach Unterlagen, die wichtig sein könnten. Und DIE beiden standen die ganze Zeit da und warteten – es könnten ja irgendwo in den Tiefen der dunklen Kommode riesige Geldstapel versteckt liegen. Ich dachte, so etwas gibt es nur im Buch oder in einer langweiligen Komödie. Irgendwann war auch die Szene im Kasten. Als K. zurückkam, waren alle Überflüssigen endlich weg. Sie haben sich Spiegeleier mit Wurst gemacht. K. fragte M: „Na, wirst du wenigstens jetzt was trinken?“ Sie sagte: „Gut, jetzt werde auch ich was trinken.“ („Und komisch,- sagte sie zu mir,- mir ist gar nicht schlecht geworden danach, war ok.“) Es stand noch die frage offen, wo M. übernachten sollte. K. meinte, sie könnte mit zu R...s Schwester. M. fragte E., wo sie denn selber schlafe. „Bei der guten Omi im Erdgeschoss.“ - „Und warum nicht in DER Wohnung?“ - „Ich habe Angst hier alleine zu sein. Ich habe immer das Gefühl, sie wäre noch hier, und ich kann es nicht ertragen, dass sie doch nicht mehr da ist... Würdest DU denn hier mit mir übernachten? Hast du keine Angst?“ - „Nein, ich habe keine Angst, ich bleibe gerne mit dir. Mein Zug fährt ja morgen auch von hier ab; wäre nur umständlich, irgendwohin anders zu fahren und dann wieder zurück...“ Dann sagte K.: „Wir werden uns doch bestimmt nie wieder sehen, oder?“ M. sagte: „Bestimmt nicht. Was uns noch verbunden hat, das war deine Mutter, und jetzt ist sie tot. Und du bist ja in Kanada, E. meistens in Amerika, da komme ich nicht einfach so hin.“ - „Wieso denn nicht? Komm doch!“ - „Ok, wenn du die Tickets bezahlst.“ - „Hm, das lässt sich bestimmt machen. Sag nur wann...“ - „Du, Spaßvogel.“



Mein Schätzchen erzählte auch, sie hätte in der Kapelle eine Frau getroffen, die exakt so aussah, wie SIE vor 40 Jahren. „Entschuldigung, wir kennen uns nicht, aber sie sehen der Tante so ähnlich...“ - „Ja, ich bin ja ihre Nichte.“ - „Ich bin auch ihre Nichte.“ - „Ach so. Ich bin V.N. aus Bremen.“ - „Von Ihnen hab ich schon mal gehört, nur gesehen haben wir uns noch nie...“




Über die Geschenke hat sie sich sehr gefreut. Das rote Päckchen faszinierte sie sofort, auspacken vor dem Heiligabend mochte sie jedoch nicht. Stattdessen versuchte sie zu erraten, was drin ist. Ich sagte: „Wenn du nicht die Geduld hast, mach es jetzt auf; gehört ja dir.“ - „Nein...“ - sagte sie. „Dann hör auf zu fragen und das Ding zu schütteln.“ Ich packte die edlen Flaschen aus, sie fragte, welche Gläser ich haben will. „Gar keine. Das trinkt man so aus dem Hals. Sind ja deswegen so klein.“ Sie fragte, was ich essen möchte. „Kartoffel? Reis isst du ja schon die ganze Zeit... Gekocht oder gebraten?“ - „Ist doch alles langweilig. Lass uns Kartoffelpuffer machen. Mit Buchweizenmehl und viel Pfeffer und Salz. Und ich esse noch meine Garnellen dazu.“ (Sie kann die Dinger nicht ausstehen) Sie fragte: „Wie soll ich mich bei dir revanchieren?“ Ich sagte: „Also, mir fehlen noch warme kuschelige Hausschuhe und ein Schneidebrett.“ - „Aha. Sind es deine Wünsche?.. Kochst du etwa jetzt zu Hause?“ Der Abend hat uns gut getan. Wir lachten bis zum Umkippen. Sie erzählte viel von der Arbeit. Von den faulen Schwestern, die ihren stinkenden Müll als „trockenen“ Abfall tarnen, um ihn nicht selbst entsorgen zu müssen. Von einer Kollegin, bei der, als sie sich bücken wollte um die Zeitung vor dem Eingang aufzuheben, die Hose platzte, und zwar nicht nur an der Naht entlang, sondern auch quer am Hintern, in Form eines Kreuzes. Von dementen Bewohnern, deren Verhalten sie immer wieder aufs neue fasziniert. Zum Beispiel Herr N., der mit einer Küchenrolle mastrubiert und die Schwestern so gerne am Hintern streichelt. Und von Frau F., die immer im Rollstuhl wie ein Maharaja mit gekreuzten Beinen sitzt und das alles beobachtet und kommentiert: “Nein, nein, nein, hier kann man nur verrückt werden, alle sind hier verrückt, deshalb kann hier keiner normal bleiben. Passen Sie auf, Herr N., da kommt schon wieder eine mit ..m breiten Arsch!“ Oder als sie die Anordnug bekamen, überall Raumspray zu benutzen „damit es nicht nach Urin riecht, wenn die Angehörigen zur Weihnachtsfeier kommen“ und sie zu ihr ins Zimmer mit der Flasche reinkam: „Darf ich bei Ihnen mal... etwas von dem angenehmen Duft in die Luft reinbringen?“ - „ Wollen Sie etwa sagen, dass es bei mir stinkt?“ - „Nein, nein...“ - „Is ja kein Wunder! Wenn man die Unterhosen wochenlang hier sammelt anstatt sie zu waschen!“ - „Na ja, da haben Sie natürlich nicht Unrecht..“ - sie sprühte ein wenig in den Raum. „Vielen Dank! - sagt sie,- Toll haben Sie das gemacht! Wunderbar frisch riecht es jetzt!“ Ja, die Omi findet sie wohl am coolsten. Oh, sie kann erzählen!.. Und sie ist eine wunderbare Schauspielerin, besonders, wenn sie angetrunken ist. Und ich bin ein dankbares Publikum. Es geht mir so gut, wenn sie erzählt. Sie sagte: „Weißt du was, ich hab schon mal meine Sachen vorsorglich durchgeguckt und so einiges aussortiert und beim RK abgegeben, damit du nicht das Problem hast.“ Ich sagte: „Welches Problem?“ Sie sagte: „Na ja, ich habe gesehen, wie schwer es E. fiel, über die Sachen ihrer Mutter zu entscheiden. Es war viel überflüssiges dabei, was nie gebraucht wurde oder nicht mehr zu gebrauchen war, aber das ist echt schwer, etwas wegzuschmeißen, was einem mal gehörte...“ Ich sagte: „Oh mein Gott!!! Mutti!!! Du bist noch nicht mal fünfzig!..“







-Wie geht es dir? - fragte er. - Schlecht. - Wieso? Warum denn? Jetzt will ich es aber wissen! Privat? Irgend ein Arschloch? Soll ich ihn töten?



-Kommst du morgen? - Ich verspreche gar nichts mehr! - Nun ja... Aber von dem jetzigen Stand der Dinge ausgehend? - Weißt du, so was kommt bei den Frauen überhaupt nicht gut an, - sagte E.- etwas zu versprechen und es dann nicht halten zu können. Viel besser ist es zu sagen, mit wievielprozentiger Wahrscheinlichkeit man etwas tun würde. - Aha. Und mit welcher Wahrscheinlichkeit rechnen wir, dass du morgen kommst? - Mit 95%. - sagte ich. - Hej! Das ist ja schon fast ein Versprechen!

Dienstag, 16. Dezember 2008

satellitentechnik

Am Telefon: - Ich möchte K. Sprechen. - Sie ist im Moment nicht da. - Wann kommt sie denn? - Gleich... In..n paar Minuten... - Dann bleib ich dran. - Ok... Ich muss aber weiter Butterbrote schmieren... - Ich bitte drum.










„Trotzdem heuerte Butzer bei Baudachs „Maschenmode"an und zeigt seitdem dort seine expressiv anmutende Riesengemälde aus seinem rätselhaften „lebenslänglichen Cartoon", der von Mondgesichtigen „Friedens-Siemensen", furchteinflößenden „Schande"-Gestalten, Kartoffenwesen und „N-Häusern" bevölkert wird."









-Sie unterstellen mir, ich würde Ihre Mutter vernachlässigen. - Das stimmt nicht! SIE waren doch gar nicht gemeint! - Warum erzählen Sie es dann MIR? - Ich will nur sagen, wie die Dinge sind. - Ich weiß, wie die Dinge sind, ich arbeite hier. - Aber ich finde das trotzdem unverschämt. Sie werden noch eine dicke Beschwerde in der Zeitung lesen, da werden wir auf jeden Fall hinschreiben! - Machen Sie das. Vielleicht hilft es ja.



Donnerstag, 4. Dezember 2008

umgekippte möbel

In letzter Sekunde hat mich Panik ergriffen: ich dachte, ich würde alles sofort wieder rückgängig machen, wenn ich nur könnte. Es es einfach zu viel auf einmal, selbst für mich. Alles stand auf dem Kopf. Der Körper machte nicht mit. Und die Seele wollte auch nicht hin.






Und nun kommt wieder Ordnung in mein Leben. Am nächsten Tag schien die Sonne, ich lief durch die Straßen und dachte: wie schön, dass ich jetzt HIER bin. Die Stadt ist wie aus einem Film. Bei mir im Erdgeschoss gibt es ein kleines Restaurant, winzig und gemütlich, wie ein Puppenhaus. Und wenn ich abends ins Fenster blicke, sind die leuchtenden Vierecke auf der anderen Straßenseite einfach magisch... Wieso denke ich die ganze Zeit an ein Cafe? Wegen diesem Tisch in meinem Zimmer – der ist wie aus einem Cafe, und die Stühle auch... Und ich habe das Bild von einem bestimmten Cafe im Kopf... Es fühlt sich an wie nach einem Sturm, wie nach dem Tsunami... Was war, kommt nicht mehr zurück. Aber es entsteht schon jetzt wieder etwas neues.






Ich mache einen kleinen Umweg, aber gewollt. Und es passt, ich schaffe alles und kriege sogar die Bahn... Heute bin ich wieder der Macher und ich drehe die Kurbel... Wenn alles so einfach wäre. Wenigstens etwas ist einfach. Heute. Ab morgen spare ich mir auch die gewollten Umwege.